„Mehr Stühle! Wir brauchen noch welche.“ – Die Organisatoren hatten alle Hände voll zu tun, bis der Vortrag schließlich starten konnte. Viele Gäste mussten trotzdem stehen, denn „Mr. DAX“ füllte den Multifunktionsraum des Hebel-Gymnasiums bis auf den letzten Quadratmeter. Freundeskreis, Elternbeirat und Schulleitung hatten den Finanzexperten Dirk Müller eingeladen, über Europa zu sprechen. Der Freundeskreis-Vorsitzende Dr. Thomas Bartsch konnte nicht nur Eltern, Lehrer und Schüler, sondern auch interessierte Bürger aus dem weiteren Umkreis begrüßen.
Der 50jährige Reilinger ist als „Mister DAX“ bekannt, weil sein Arbeitsplatz an der Frankfurter Börse direkt unter der DAX-Kurstafel lag und die Medien seinen Gesichtsausdruck als bildliche Reaktion auf den aktuellen Kursverlauf nutzten. Inzwischen hat Dirk Müller drei – teilweise umstrittene - Bücher über Börse und Wirtschaft geschrieben. Der unterhaltsame Redner ist auch häufig Gast in Talkshows. Durch einen persönlichen Kontakt von Annette Dietl-Faude vom Freundeskreis konnte der Autor für den Abend – bei freiem Eintritt - gewonnen werden.
Dass er seine Thesen anschaulich und witzig präsentieren kann, bewies er auch im Hebel-Gymnasium. In lockerem Plauderton wechselte er geschickt zwischen Sachinformationen und persönlichen Stellungnahmen. Schulleiter Stefan Ade dankte für die „didaktisch gelungene Doppelstunde“: Müller erklärte beispielweise anhand von „durch dehnbare Bettfedern verbundenen Erdplatten“, wie unterschiedliche Währungen das unterschiedliche Wirtschaftswachstum von Ländern abpuffern können. Der Euro habe nun diese elastischen Federn entfernt. Dann seien starke Spannungen zwischen den Platten entstanden. In Griechenland beispielsweise liegt der Euro 80 Prozent über der Leistungsfähigkeit. „Es gibt nur zwei Lösungen: Transferleistungen oder die Wiedereinführung unterschiedlicher Währungen.“ Dirk Müller schlägt vor, den Euro zu behalten, aber zusätzlich nationale Währungen einzuführen, ähnlich wie 1979 bis 1998 der ECU funktionierte.
Zum Brexit meinte der Börsenmakler: „Der Austritt ist nicht das Problem, sondern, wenn er sich zu lange hinzieht. Weil dann Investitionen zurückgehalten werden.“ Die Situation in Italien mache ihm mehr Sorgen: „Dort steht den Banken das Wasser bis zum Hals.“
Zu Amerika positionierte sich der bekennende Europäer Müller klar: „Amerika ist noch die Weltmacht. Mir wäre zwar am liebsten, gar keinen Hegemon zu haben, aber lieber einen amerikanischen als einen chinesischen.“ „Chinas Sozialpunktesystem – nein, das wollen wir nicht!“ China will aggressiv die Macht über Eurasien erobern. „Das Sinnvollste, was Amerika machen kann, ist, ein Handelskrieg mit China. Damit es nicht zu einem richtigen Krieg kommt.“ Der chinesischen Wirtschaft prognostizierte er, dass die Blase platzen wird. „Dann haben wir eine kurzfristige Katastrophe, aber die Perspektive danach ist wieder positiv.“
„Ein Grundeinkommen fände ich klasse.“ Dirk Müller kommt ins Schwärmen. Da langweilige Arbeitsplätze durch Digitalisierung und durch Maschinen sowieso wegfallen, könnten die Menschen sich andere Betätigungen suchen: Kunst, Wissenschaft, Soziales. „Viele Erfindungen im alten Griechenland beruhen darauf, dass dort Männer nicht arbeiteten: Die hatten Zeit zum Nachdenken.“ Auf die Frage aus dem Publikum, welche Anlage er empfehlen würde, meinte Müller: „Sachwerte sind sicherer. Geld ist gefährlich.“
(Birgit Schillinger)