29.11.23

Ist Werther ein Borderliner? Diskussionen in der Nachbesprechung eines Theaterbesuchs

Als Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ 1774 erschien, wurde er sofort zum Bestseller. Der Schwetzinger Intendant und Regisseur Joerg Mohr hat in wochenlanger Arbeit den Roman zu einem packenden Theaterstück umgeschrieben. Die Deutschlehrerin Kerstin Bellemann hatte mit ihrer 10. Klasse nun die aktionsreiche Inszenierung im „theater am puls“ besucht.

Joerg Mohr kam dann zu einer Nachbesprechung ins Hebel-Gymnasium. Hier wurde diskutiert, ob Werther heute als Borderliner bezeichnet worden wäre - mit seiner extremen und auffälligen Instabilität, was seine Stimmungen, Verhaltensweisen und Beziehungen anbelangt, seiner Unfähigkeit, Trennungen auszuhalten, und auch mit seinen Selbstverletzungen. Mohr war dieser These nicht abgeneigt, ergänzte aber, dass er insbesondere Werthers narzisstische Persönlichkeit in den Blick hatte nehmen wollen, seine Weigerung, ein „Nein“ anzuerkennen, seine grenzenlose Ich-Bezogenheit, auch in der Liebe. Denn er achtet weder gesellschaftliche Konventionen und damit einhergehend etablierte Verhaltensweisen gegenüber einem verlobten Paar noch Lottes individuelle Grenzen, als sie ihn etwa bittet, sie ein paar Tage lang bis zum Weihnachtsfest nicht mehr zu besuchen. 

Eine Schülerin, die bisher noch nie im Theater war, meinte danach, „richtig froh“ zu sein, diese Gelegenheit wahrgenommen zu haben. Die Zehntklässler und ihre Lehrkräfte waren schließlich davon begeistert, dass es in der Inszenierung gelungen war, aktuelle Bezüge herzustellen (etwa dank moderner musikalischer Untermalung) und dadurch die Zeitlosigkeit des Briefromans zu betonen.

Birgit Schillinger

Kooperation Hebel-Gymnasium mit dem „theater am puls“: Intendant Joerg Mohr bespricht mit den Zehntklässlern seine Inszenierung des „Werther“.
Kooperation Hebel-Gymnasium mit dem „theater am puls“: Intendant Joerg Mohr bespricht mit den Zehntklässlern seine Inszenierung des „Werther“.